Corona und unsere psychische Gesundheit

Dr. Claudia Ritter-Rupp im Interview

Portraitfoto von Frau Dr. Claudia Ritter-Rupp - 2. stv. Vorsitzende des KVB-Vorstands

Die Corona-Krise bringt aktuell viele Herausforderungen mit sich: Ungewohnte Einschränkungen, Ungewissheit und Ängste. Und die Krise hat auch Konsequenzen für die KVB-Arbeitswelt: ein teilweise enorm erhöhtes Arbeitsaufkommen, ungewohnte „Isolation“ im Homeoffice oder die komplette Umstellung auf digitale Kommunikation sind nur einige Beispiele hierfür. All dies stellt für uns alle eine psychische Belastung dar, die negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben kann.

Gesundheitsmanagerin Kathrin Bernhardt wollte deshalb von unserer Vorständin Dr. Claudia Ritter-Rupp, Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, wissen, was unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun können, um jetzt vor allem auch ihre psychische Gesundheit zu stärken.

Das Thema Stressmanagement stand letztes Jahr im Fokus unserer Gesundheitsaktionen und scheint im Moment aktueller denn je. Als wie wichtig sehen Sie als Expertin dieses Thema derzeit an?

Im Moment besteht in vielfältiger Hinsicht ein negativer Stress, mit dem wir fertig werden müssen. Wir müssen uns hierbei klarmachen, dass wir gerade in Krisenzeiten leben und dass man sich belastet bzw. ängstlich, traurig oder auch wütend fühlen darf. Diese Gefühle sind eine völlig normale Reaktion und müssen nicht gleich pathologisch sein.

Aus Ihrer persönlichen Erfahrung und als Therapeutin – was ist für die Menschen zur Zeit am schwersten?

Ich glaube, dass es die Menschen sehr trifft, auf soziale Kontakte verzichten zu müssen. Darauf konnte man sich gar nicht so schnell geistig vorbereiten. Viele erleben derzeit tatsächlich Isolation.

Was sicher auch schwer zu ertragen ist, ist der Verlust der eigenen Autonomie und Selbstbestimmtheit. Vieles wird uns ja jetzt vorgegeben, wir erleben Einschränkungen in Bezug auf Bewegungsfreiheit oder soziale Kontakte. Das kennen die meisten von uns überhaupt nicht.

Gleichzeitig verspüren wir diverse Ängste,  bspw. die Angst, dass ich selber oder meine Lieben erkranken oder auch existenzielle Ängste wie die Sorge um Arbeitsplatzverlust oder vor finanziellen Einbußen. Und nicht zuletzt auf die Zukunft gerichtete Ängste: Wie wird die Epidemie verlaufen? Kriegen wir sie in den Griff? Wie sieht die Welt nach der Krise aus?

Und letztlich plagen uns die Unsicherheiten, die dem ganzen Thema und der jetzigen Situation innewohnen. Werden alle Maßnahmen zu dem erwarteten Ziel führen? Was kommt, wenn sie nicht ausreichen? Ich glaube, das bringt eine Art von Bedrohungsgefühl mit sich, das sich bis ins Kleinste auswirkt.

Was sind Ihre ganz persönlichen Empfehlungen, wie ich am besten mit den beschriebenen Herausforderungen umgehen kann?

Es ist nicht so leicht, hierzu pauschale Empfehlungen zu geben, weil es natürlich immer stark mit der einzelnen Person und ihrer Persönlichkeit sowie der individuellen Situation zu tun hat. Ganz grundsätzlich denke ich, ist es immer wichtig, seine persönlichen Spielräume zu erkennen und zu nutzen. Denn jegliche Situation hat immer gewisse Spielräume. Dies hat oft große Auswirkungen: Wenn ich das Gefühl habe, dass ich im Kleinen Dinge beeinflussen und zu meinem eigenen Vorteil oder zu meinem eigenen Wohl gestalten kann, verbessert das oft das Erleben der Gesamtsituation deutlich.

Was könnte sonst noch helfen?

Für manche ist vielleicht hilfreich, sich ein paar Menschen herauszusuchen, die einem besonders wichtig sind, und mit denen den Austausch zu intensivieren. Da gilt es im Vorfeld erst mal bewusst hin zu spüren: Welche Kontakte liegen mir besonders am Herzen und mit wem möchte ich intensiveren Austausch pflegen, wer tut mir gut?

Ich bekomme von Freunden, Bekannten oder Kollegen derzeit immer wieder kleine Botschaften oder kurze Videos. Viele verwenden in der Kommunikation den Nachsatz, den ich mittlerweile auch selber pflege: „Bleiben Sie gesund!“ Das sind schöne Gesten, die guttun. Insgesamt darf man da momentan ruhig etwas erfinderisch sein, um für sich herauszufinden, wie man sich mehr mit anderen in einer Gemeinschaft fühlen kann.

Was auch gut tut, ist die Beschäftigung mit all dem, was mir Spaß macht. Das geht uns in unserer Alltagshektik ja auch oft verloren. Jetzt haben wir vielleicht mehr Gelegenheit, mal innezuhalten und zu fragen: Was macht mir denn eigentlich wirklich Spaß? Bei dem einen sind es alte Hobbys, die wieder reaktiviert werden. Manche nutzen die Zeit, um etwas Neues zu lernen, wofür sie sonst keine Zeit hätten. Wie auch immer: Schaffen Sie sich einen Ausgleich. Manch einer musiziert, der andere geht mehr in die Natur, ein Dritter verausgabt sich am liebsten sportlich. Manche reaktivieren auch Entspannungs- oder Achtsamkeitsübungen, die sie mal gelernt haben. Vielleicht machen Sie auch von allem ein bisschen.

Viele belastet ja auch die Menge an Informationen, mit denen man täglich durch die Medien konfrontiert wird. Es kommt einem so vor, als gäbe es kein anderes Thema mehr als Corona!

Da kann ich nur raten: Vermeiden Sie zu viele und zu häufige negative Informationen! In den Medien passiert gerade diese völlige Einengung auf dieses Thema. Es werden zig Zahlen veröffentlicht, die wir sowieso nicht gut einordnen können. Selbst Fachleuten fällt da häufig die Interpretation schwer. Ich empfehle uns allen einen achtsamen Umgang mit sich selbst. Wie viel möchte ich mir zumuten? Manchmal kann man vielleicht das Thema Corona gar nicht mehr hören, und dann ist es auch gut so.

Ich höre also raus, dass jeder sich ein Stück weit sein eigenes Konzept zusammenstellen muss, was für ihn hilfreich ist.

Ja, und es macht in diesem Zusammenhang Sinn, mal darüber nachzudenken: Wie schaffe ich es eigentlich immer wieder, mein psychisches Gleichgewicht herzustellen? Das ist eine Leistung, die wir tagtäglich erbringen, über die wir uns aber nicht immer so klar sind. Da hat jeder seine Mechanismen, die man sich vielleicht noch mal deutlicher vor Augen führen kann.

Wann ist der Punkt erreicht, an dem ich mir professionelle Hilfe suchen sollte, zum Beispiel in Form eines therapeutischen Gesprächs?

Dieser Punkt ist meiner Meinung nach dann erreicht, wenn keiner der Mechanismen, die man kennt, zu dem Zustand führt, den man braucht. Um noch konkreter zu werden: Wenn ich merke, dass ich in eine Art Teufelskreis komme und nicht mehr abschalten kann. Wenn die Momente, an denen ich mich noch freuen kann oder mich von meinen Ängsten distanzieren kann, zur Ausnahme werden. Dann, glaube ich, macht es wirklich Sinn, sich Unterstützung bei jemandem Professionellen zu suchen. Das muss nicht gleich eine lange große Psychotherapie sein, einige wenige Gespräche können reichen.


Nehmen Psychotherapeuten derzeit denn überhaupt neue Klienten an und wie können therapeutische Gespräche momentan stattfinden?

Aktuell haben sich auf meinen Aufruf hin 600 Psychotherapeuten auf eine Liste setzen lassen, die per Video therapeutische Unterstützung anbieten. Dazu wurden die Koordinationsstelle Psychotherapie sowie die Terminservicestelle für Psychotherapie wieder in Betrieb genommen.

Das heißt, man kann entweder direkt die Psychotherapeuten, die sich in die Liste eingetragen haben, kontaktieren oder man geht über unsere Terminservicestelle Psychotherapie?

Ja genau. Da kann man sich einfach mal ein Erstgespräch organisieren.

Auch die Arbeit in der KVB gestaltet sich derzeit für viele Mitarbeiter ungewohnt neu: Viele von uns arbeiten momentan allein im Homeoffice. Das bringt seine ganz eigenen Herausforderungen mit sich. Man ist plötzlich nur noch über Telefon oder maximal Videokonferenz in Kontakt. Man muss sich auch ganz anders strukturieren. Vieles ist gar nicht so vorgegeben, wie man es gewohnt ist. Manche sind sogar gleichzeitig noch mit der Kinderbetreuung beschäftigt. Was kann da helfen?

Das Erste ist, sich klarzumachen, was das für eine große Herausforderung ist. Am Ende jedes Tages können wir immer wieder stolz sein, dass wir alles einigermaßen gut hinbekommen haben. Es hilft auch, wenn wir unseren Perfektionsanspruch da ein Stück weit reduzieren.

Außerdem hilft jegliche Form von Struktur. Sorgen Sie dafür, dass in Ihrem Tag Pausen vorgesehen sind, dass Sie einen gesunden Lebensstil pflegen. Gehen Sie fürsorglich mit sich selber um.

Darüber hinaus ist es jetzt auch seitens der Führungskräfte und des Vorstands immens wichtig, Wertschätzung zu zeigen und anzuerkennen, was da gerade von allen geleistet wird in diesen ganz besonderen Zeiten.

Das ist das passende Stichwort für meine nächste Frage. Denn auch unsere Führungskräfte sind ja momentan noch mal anders gefragt. Was können diese jetzt besonders beachten im Umgang mit ihren Mitarbeitern?

Ich glaube, die Führungskräfte sollten mehr denn je auf den einzelnen Mitarbeiter eingehen. Es hilft, eine Vorstellung davon haben, wie es demjenigen geht, der da jetzt zu Hause arbeitet, welchen Anforderungen sich jeder Mitarbeiter gegenüber sieht. Dazu darf man ruhig einmal über das Fachliche hinaus ins Gespräch kommen und nachfragen: Wie geht es dir? Wie gehst du mit der momentanen Situation um? Für den Mitarbeiter ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass seine Führungskraft daran wirklich interessiert ist. Es geht also nicht nur um die Organisation der Aufgaben. Noch wichtiger ist momentan das Beziehungs-Handling.

Wir haben jetzt schon viel darüber gesprochen, wie man die persönlichen Ressourcen stärken kann, um gesund zu bleiben. Was machen Sie ganz persönlich?

Also eigentlich versuche ich, all das, was ich bisher gesagt habe, auch für mich anzuwenden. Das beinhaltet, mit mir selber fürsorglich umzugehen, mich gesund zu ernähren. Ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad in die KVB. Eine große Radtour am Wochenende hilft mir am allerbesten, mit dem Stress umgehen oder ihn zu verarbeiten. Tatsächlich bin ich jemand, der Stress am allerbesten mit körperlicher Aktivität abbaut, am liebsten in der Natur. Die gibt mir ganz viel Ruhe und hilft mir, den Moment zu genießen.

Haben Sie zum Abschluss noch etwas, was Sie den Mitarbeitern persönlich sagen wollen oder was Ihnen besonders wichtig geworden in dieser Zeit?

Das Erste ist, dass ich super stolz bin auf diese KVB, weil ich die unglaublich vielen Bemühungen unserer Mitarbeiter sehe. Wie wir hier Strukturen in Nullkommanichts hochziehen und diese Pandemie managen. Das berührt mich menschlich wirklich sehr, so viel Kampfgeist, so viel Solidarität, so viel Lösungsorientierung zu sehen.

Und ich bin sehr stolz, Teil des Ganzen zu sein. Das würde ich auch jedem wünschen, dass er das auch ein bisschen verinnerlichen kann, dass uns hier gerade etwas ganz Tolles gelingt. Ich kann mich nur bedanken, denn was hier geleistet wird hinter den Kulissen und auch ganz explizit auf der sichtbaren Ebene, verdient absolute Wertschätzung.

Frau Dr. Ritter-Rupp, herzlichen Dank für das Gespräch!
  

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